Fast auf den Tag genau 16 Jahre liegen zwischen dem 24. Mai 2006 sowie dem 21. Mai 2022. Eine Ewigkeit. Nicht nur im so schnelllebigen Fußballgeschäft.
Und in diesen 16 Jahren hat sich im Fußball sehr vieles verändert. Und doch gibt es auch heute immer wieder Parallelen zu vergangenen Tagen.
In der Saison 2005-06 ist an einen Pokalsieger namens RedBull Leipzig noch nicht im Entferntesten zu denken. Wobei, vielleicht doch: Vor wenigen Monaten hatte RedBull den Sportverein Austria Salzburg übernommen.
Für den gemeinen deutschen Fußballfan erschließt sich zu jenem Zeitpunkt daraus allerdings noch keine allzu greifbare Problematik, wenngleich zu diesem Zeitpunkt die aktiven Fanszenen in Europa bereits warnen und mahnen.
Doch in jenem Jahr 2006 muss in Stuttgart gar nicht die Bundesgrenze verlassen, um 16 Jahre später die sportlich erfolgreichen Auswüchse des modernen Fußballs hautnah miterleben zu können. Genauer gesagt: Man muss nicht einmal die Landesgrenzen verlassen, man muss lediglich den Blick über die Randzone der nördlichen Metropolregion Stuttgart richten. Nach Sinsheim, in den Ort Hoffenheim, welcher 1972 in erstgenannte Stadt eingemeindet wurde.
Nun gut, die restliche Geschichte ist bekannt. In jenem Mai 2006 ist Hoffenheim allerdings noch weit entfernt von Bundesliga-Aufstiegen und Champions League-Abenden in einer sterilen 0815-Arena nebst einer wenig relevanten Autobahnausfahrt.
Das sogenannten Hopp‘sche Herzensprojekt hat abermals den Aufstieg in die Zweitklassigkeit verpasst, wird ein weiteres Jahr in der damals drittklassigen Regionalliga verbringen müssen. Trotz Bundesliga-erprobter Zugänge wie Tomislav Maric, Jochen Seitz, Michael Rundio, Selim Teber oder Alexander Blessin.
Durchaus bekannte Namen, auch im Kosmos der Stuttgarter Kickers.
Geholfen hat es 2005-06 allerdings nicht: Der FC Augsburg legte seinen Grundstein für spätere Europapokalnächte, stieg als Meister vor der TuS Koblenz in die zweite Bundesliga auf, Hoffenheim landete auf Platz vier in der Abschlusstabelle, die Blauen aus Degerloch auf dem achten Platz.
Während die einen - mit welchen Kräften auch immer - also schon damals irgendwie ihren Grundstein für Europapokalabende legten, sind die beiden anderen genannten Teams aus Koblenz und Stuttgart heute in der jeweiligen Oberliga angekommen.
Doch springen wir noch einmal 16 Jahre zurück, zu diesem 24. Mai 2006, einem so eminent wichtigen Datum meines blauen Fandaseins.
Jener 24. Mai 2006 ist ein Mittwoch vor einem Feiertag. An diesem Abend ist schönes Wetter, ein klarer Himmel, lauwarme Temperaturen.
Es ist Finaltag. Im WFV-Pokalfinale trifft der SV Stuttgarter Kickers auf den SSV Ulm 1846. Gemeinsam war man wenige Jahre zuvor in der Saison 2000-01 aus der zweiten Bundesliga abgestiegen und hatte seither den Wiederaufstieg verpasst, für Ulm ging es damals aufgrund finanzieller Versäumnisse sogar mehr als nur eine Klasse tiefer.
Doch an diesem Mittwochabend, dem 24. Mai 2006 im Stadion an der Jesinger Allee zu Kirchheim unter Teck zählt nur das „Hier und Jetzt“.
Die Kickers treten mit einer Mannschaft an, von der ein großer Bestandteil in der darauffolgenden Saison für Furore sorgen wird: David Yelldell, Jens Härter, Marco Wildersinn, Kresimir Lukic, Oliver Stierle Marvin Braun, Mustafa Akcay, Mustafa Parmak, Bashiru Gambo, Bastian Bischoff und Mirnes Mesic startete die Partie, Emmanuel Akwuegbu, Enzo Marchese und Recep Yildiz wurden im weiteren Spielverlauf von Coach Robin Dutt eingewechselt.
Illustre Namen, auf Ulmer Seite ergänzt durch die Spatzen-Vereinslegenden Holger Betz und Janusz Gora, letzterer ebenso mit SVK-Vergangenheit wie der Ulmer Trainer Marcus Sorg, heute langjähriger Co der deutschen Nationalmannschaft.
Die Ulmer sind zu diesem Zeitpunkt Viertligisten, gehen also gegen den Drittligisten aus Stuttgart als Underdog ins Spiel und schaffen es dennoch, die zweimalige Führung der Kickers durch Braun und Mesic auszugleichen, bevor in einer dramatischen Schlussphase zunächst Thorsten Rinke die Spatzen in Führung schießt - letztendlich kann Kickers-Torjäger Mirnes Mesic aber kurz vor Spielende den verdienten 3-3-Ausgleich erzielen.
Verlängerung in Kirchheim unter Teck. Verlängerung im Duell zweier alter Rivalen.
Und diese Verlängerung würde torlos enden, das anschließende Elfmeterschießen sich allerdings nicht minder dramatisch wie zuvor die reguläre Spielzeit gestalten.
Nachdem die Blauen in selbigem zunächst in Rückstand geraten, ist es letztendlich zunächst der in der 120. Minute fürs Elfmeterschießen eingewechselte Benjamin Barth, der für die Ulmer verschießt, bevor das junge Kickers-Eigengewächs Recep Yildiz die Blauen mit 7-6 in Führung bringt - der letzte Ulmer Schütze namens Intemperamente (zu Deutsch: „maßlos, zügellos“) macht seinem Namen letztendlich alle Ehre und hämmert den entscheidenden Elfmeter über das Tor von Kickers-Keeper Yelldell.
Daraufhin folgen Jubelarien in Form eines Platzsturms auf der einen sowie Frustsbbau in Form eines Platzsturms auf der anderen Seite - jedenfalls ein unvergesslicher Tag nicht nur für mich, eher in der jüngeren Vereinsgeschichte.
Warum? Ganz einfach: Es sollte der vorerst einzige Titel der Stuttgarter Kickers in diesem Jahrhundert sein und bleiben, zudem der einzige Titelgewinn, den ich miterleben würde.
Die Kickers sollten erst im Jahre 2013-14 wieder ein solches WFV-Finale erreichen (2-4 gegen Heidenheim) sowie zum Ende der dunklen Beinahe-Abstiegssaison 2016-17 dann unter ominösen Umständen mit 1-3 gegen die Sportfreunde Dorfmerkingen verlieren - die bis zum 21.05.2022 letzte Finalteilnahme der Blauen.
An diesem sonnigen Samstag im Mai 2022 sollten dann also wiederum die Stuttgarter Kickers auf die Ulmer Spatzen treffen, wieder mit einem Unterschied in der Ligenzugehörigkeit. Während die Ulmer nach wie vor (wieder) Viertligist sind, kommen die Kickers als Fünftligist in dieses „Finale daheim“ - und verkaufen sich alles andere als fünftklassig. WFV-Pokal-Rekordkulisse, eine wahnsinnige Atmosphäre, ein hitziges Spiel - wieder entscheidet ein Elfmeterschießen das Aufeinandertreffen der beiden Klubs. Wie schon an diesem Mittwochabend im Mai 2006. Doch im Mai 2022 setzt sich das unterklassige Team durch und entreißt den Ulmern nach drei Finalsiegen in Folge endlich den Pokal.
Und holt endlich den dritten Titel, nach dem WFV-Pokal 2005 und 2006, der Vereinsgeschichte im 21. Jahrhundert - ganze 15 Jahre und 362 Tage nach dem letzten, welchem wesentlich mehr Tiefen als Höhen in den Folgejahren folgen sollten.
Und so lässt sich auch nicht prognostizieren, wo der SV Stuttgarter Kickers dann in 16 Jahren im Mai 2038 stehen wird. Klar ist allerdings einmal mehr geworden an diesem Tage im Mai 2022: Der Verein lebt wie eh und je. Die Jubelschreie, nachdem Kickers-Keeper Ramon Castellucci den entscheidenden Elfmeter auf der Waldau hielt und damit den Blauen ein lange ersehntes Hochgefühl bescheren würde; ja diese Jubelschreie wird man ziemlich sicher auch noch unten im Stuttgarter Talkessel sowie weit über die Fildern hinaus gehört haben.
Ich freue mich jedenfalls auf die kommenden 16 Jahre - wenngleich erst einmal die ersten Tage im Juni 2022 entscheidend für den weiteren kurzfristigen Weg der Vereinsgeschichte sein werden.
Doch, bis dahin, ist die Agenda einfach „Genießen!“, denn: „Hate it or love it - the underdog‘s on top“!
Dieser Sieg hat für vieles entschädigt und einige Tiefen vergessen lassen. Zumindest für einige Tage.
Ein paar Gedankengänge von mir zum Spiel von Samstag - im Stile eines Blogbeitrags. Nicht Korrektur gelesen.