Die Handy-Revolution in Saudi-Arabien

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Überlinger

Die Handy-Revolution in Saudi-Arabien

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Die Handy-Revolution in Saudi-Arabien

Die Sittenwächter Saudi-Arabiens halten Kamera-Handys für Teufelszeug, die Mehrheit der Bevölkerung hingegen ist begeistert. Wegen des öffentlichen Drucks hat die Regierung ein Verbot der umstrittenen Telefone kürzlich wieder aufgehoben. Nun verhärten sich die Fronten zwischen Religionsgelehrten und Technikjüngern.

Berlin - Seine Äußerung sprach frommen Saudis aus dem Herzen. "Mobiltelefone mit Kamera", sagte Saudi-Arabiens höchste religiöse Autorität, Scheich Abd al-Aziz Al al-Scheich, der saudischen Tageszeitung "al-Madina", "verbreiten Obszönität in der muslimischen Gemeinschaft". Dem obersten Sittenwächter des Königreichs war im September 2002 der Kragen geplatzt. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass viele Männer diese Handys benutzten, um heimlich Frauen zu fotografieren.

Bereits herkömmliche Mobiltelefone hatten die konservativen Religionsgelehrten mit Argwohn betrachtet, sind diese doch seit langem das beliebteste Mittel der Kontaktanbahnung zwischen jungen Männern und Frauen - in einem Land, in dem Frauen nur von Kopf bis Fuß verhüllt auf die Straße gehen dürfen, in dem Kontakte zwischen beiden Geschlechtern außerhalb der Verwandtschaft tabu sind, und in dem eine staatliche Religionspolizei die Einhaltung dieser Vorschriften überwacht und Verstöße mit Stockhieben ahndet.

Als die Gelehrten im Jahre 2002 protestierten, verbot die Regierung Mobiltelefone mit eingebauter Kamera. Doch so leicht war das Problem nicht aus der Welt zu schaffen, nicht einmal im autokratischen Wüsten-Königreich. Im vergangenen Monat musste die Regierung dem massiven öffentlichen Druck nachgeben und die Kamera-Handys wieder zulassen. Herrscher und Religionsgelehrte hatten die Technikbegeisterung des saudischen Volkes unterschätzt.

Das Verbot hatten die Saudis ohnehin dadurch umgangen, dass sie die Geräte aus den benachbarten Golfstaaten eingeschmuggelt und auf dem Schwarzmarkt verkauft hatten. Nach Angaben der englischsprachigen saudischen Tageszeitung "Arab News" betrug der Wert der illegal nach Saudi-Arabien eingeführten Telefone umgerechnet etwa 220 Millionen Euro.

"Wir leben in einer Art und Weise für unsere Mobiltelefone, die in anderen Teilen der Welt vielleicht nicht verstanden wird", kommentierte ein Teilnehmer eines saudischen Internetforums die exzessiven Schmuggelaktivitäten. Ein Leben ohne das modernste Handy sei für viele Saudis mittlerweile undenkbar.

Die Technikbegeisterung erhielt jedoch im Sommer 2004 einen schweren Dämpfer, als Bilder einer mit einem Video-Handy gefilmten Vergewaltigung im Internet kursierten. Seither ist das Königreich in Aufruhr - und steht wieder einmal vor der Frage, wie sich Hightech und islamische Werte in Einklang bringen lassen.

Denn auch wenn die Saudis die brutale Tat einhellig aufs Schärfste verurteilten - sein Kamera-Handy wollte keiner mehr hergeben. So hatten es einige konservative Religionsgelehrte gefordert, die neben der Vergewaltigung selber auch die gesamte moderne Technologie verdammt hatten. Erst die aus dem Ausland importierten Geräte hätten schließlich eine Verbreitung der Tat ermöglicht. "Ich kann die Sorge der Autoritäten durchaus verstehen", sagte Umm Laila, Studentin und Mutter von drei Kindern, der Zeitung "Arab News", "aber dieses Verbot ist beleidigend für uns andere."

"Das Aufhebens, das um Kamera-Handys gemacht wird, ist lächerlich", schimpfte Nidhal Tariq, Betreiber eines Handygeschäfts in der Hafenstadt Dschidda, in den "Arab News". "Wenn wir so mit moderner Technologie umgehen, könnten wir auch gleich Autos verbieten, die Unfälle verursachen können, oder Fernseher, die Unanständigkeiten zeigen." Diplomatischer drückte es Fahd al-Ubud aus, ein Berater des saudischen Königs. "Technologie ist immer ein zweischneidiges Schwert", sagte er der saudischen Tageszeitung "Okaz". Das Problem lasse sich aber nicht mit einem simplen Verbot lösen.

Florian Peil

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